Samstag, Juli 12, 2008

Hoffentlich schießt Ihnen bald jemand eine Kugel in den Kopf



"Hoffentlich schießt Ihnen bald

jemand eine Kugel in den Kopf"


Millionen Iraner nutzen Internet-Blogs,
weil sie eine rare Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung sind


Der Iran ist im Nahen Osten einsame Spitze - was das Internet-Bloggen angeht. Mehr als 1,6 Millionen Nutzer sollen allein die beiden größten Weblog-Portale haben, auf denen sich Iraner über Politik, den Alltag, aber auch über Autos und Lifestyle sowie ihre Liebesgeschichten austauschen. Nach dem Verbot von mehr als 100 Zeitungen in den vergangenen Jahren gelten Weblogs als eines der wichtigsten Medien, in denen sich noch Kritik gegen das Regime äußern lässt - wenn man die Tricks kennt, sich dabei nicht erwischen zu lassen. Denn die Regierung liest mit, was über sie geschrieben wird - und hat bereits mehrere Blogger mit Gefängnis bestraft.

Dabei verdammen die Machthaber in Teheran die Weblogs keineswegs generell als Teufelszeug. Sie haben längst erkannt, dass das Internet als Medium zu Propagandazwecken nützlich sein kann. So verwundert es nicht, dass nicht nur Reformpolitiker als Blogger tätig sind, sondern selbst Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad seinen persönlichen Blog pflegt. Und das staatliche Radio ruft sogar im Ausland zu Weblog-Wettbewerben auf.

Einer von Irans Bloggern ist Azad. "Azad" ist Persisch und heißt auf Deutsch "Freiheit". Der Iraner, der seine Identität aus Sicherheitsgründen nicht preisgibt, ist nicht nur durch seine Beiträge als Oppositioneller oder zumindest Regierungskritiker zu erkennen. Schon ein kurzer Blick auf seine Seite reicht, um zu sehen, wo er politisch steht. Rechts oben in der Ecke prangt nicht die aktuelle iranische Staatsflagge, sondern die ehemals in der Schahzeit verwendete mit dem Löwenemblem. Iranische Oppositionelle in aller Welt verwenden diese Fahne heute noch als Protestmittel gegen die iranische Regierung, zum Beispiel bei Fußballspielen der iranischen Nationalmannschaft in europäischen Stadien wie bei der WM 2006. Azad weist in seinem Blog ganz direkt darauf hin, was mit seiner Seite passieren könnte. "Ich möchte hier noch ein paar Dinge aufschreiben, damit ich selbst ruhiger werde. Denn vielleicht mögen viele meine Gedanken nicht, sehen mich als Verräter, und dieser Blog wird bald gefiltert", schreibt er. Immerhin teilt er heftige Schläge gegen den Staatspräsidenten und seine Regierung aus, zweifelt insbesondere die Kompetenz Ahmadinedschads für sein Amt an und tut das - wie in der persischen Kultur häufig üblich - in blumigen Worten und mit vielen Vergleichen.

Wenn die Internet-Zensoren der Regierung den Blog filtern würden, würden Nutzer, die den Weblog vom Iran aus aufrufen wollen, eine Meldung auf dem Bildschirm erhalten: "Diese Webseite ist nicht mehr erreichbar." Das ist die Zensurvariante Nummer eins, die aber nicht unbedingt sehr wirkungsvoll ist. Denn die täglich wachsende Gemeinde der iranischen Blogger - Persisch ist inzwischen die viertwichtigste Sprache im WWW - weiß ziemlich genau, was man gegen diese Zensurvariante unternehmen kann. Man lädt sich ein Programm aus dem Internet, das die Blockade löst und die verbotene Seite über eine Entschlüsselung wieder sichtbar macht. So ist das mit den Verboten im Iran: Diejenigen, die sich etwas nicht verbieten lassen wollen, finden oft Mittel und Wege, Verbote zu umgehen. Nur so ist es auch zu erklären, dass offiziell verbotene Hollywood-Filme im Iran auf illegalen DVD-Kopien schon erhältlich sind, noch bevor sie in europäischen Kinos anlaufen.

Es gibt allerdings noch eine zweite Zensurvariante, die es Weblog-Nutzern etwas schwieriger macht, ihren Lieblingsblog wiederzufinden - nämlich, wenn dieser von den Betreibern der Weblog-Portale entfernt wurde. Einer dieser großen, im Iran ansässigen Anbieter ist Blogfa, der fast 900 000 User haben soll.

In politischen Weblogs geht es trotz möglicher Zensur weiter hart zur Sache, vor allem wird immer wieder Ahmadinedschad kritisiert. Besonders beliebt: die verfehlte Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Aber es geht auch darum, welche Regimegegner inhaftiert sind und warum. Es finden sich in Blog-Beiträgen Listen politischer Gefangener ebenso wie erschütternde Berichte von Vergewaltigungen weiblicher Gefängnisinsassen.

Die junge Gesellschaft des Iran - 70 Prozent sind jünger als 30 Jahre - ist internetaffin. Junge Menschen, so sie denn politisch interessiert sind, informieren sich nicht nur über das - eigentlich auch verbotene - Satellitenfernsehen, sondern eben auch über das World Wide Web, sei es über die Nachrichtenseiten von BBC oder über Blogs.

Ob Blogs nun per se etwas Schlechtes und Gefährliches für die Machthaber oder eher nützlich sind, darüber ist sich die Führung des Landes nicht so ganz einig. Natürlich würden Teile der Fundamentalisten Blogs am liebsten ganz verbieten. So werden in den Zeitungen der Revolutionsgarden, der Pasdaran, Blogger immer wieder als "Quelle der Gefahr für das Land" dargestellt. Im Juli vergangenen Jahres forderte die Pasdaran-nahe Wochenzeitung "Sobh'e Azadegan" die Behörden dazu auf, endlich schärfere Maßnahmen gegen politische Blogger zu ergreifen. Sie seien zwar gering an der Zahl, aber ihre Bedeutung sei groß. Blogs könnten das Feld sein, in dem durch Spionage die nationale Sicherheit gefährdet werden könnte, hieß es.

Auf der Seite www.ahmadinejad.ir veröffentlicht der Präsident sein Web-Tagebuch - auch in Englisch und Französisch. Im englischen Teil schreibt er zwar nur alle paar Monate einen Beitrag, dafür lässt er aber die Lobeshymnen seiner Leser einblenden - und sogar äußerst kritische Beiträge. So bewundert der Chinese Han Guanghui Ahmadinedschad für seinen "ungeheuren Mut, mit dem Sie gegen die USA kämpfen. Ich werde Sie immer unterstützen", versichert er ihm. "Nicolas" aus Großbritannien meint hingegen: "Sie sind der dümmste Präsident, den es je gab. Ich bin sicher, dass die Hälfte der Kommentare, die hier veröffentlicht sind, erfunden sind und nur der Propaganda dienen." Und der US-Amerikaner Jack Meyhoffer äußert gar:

"Ich hoffe, dass Ihnen möglichst bald jemand eine Kugel in Ihren Kopf schießt."