Donnerstag, Februar 21, 2008

Eine iranische Atombombe?

Neue Computersimulationen europäischer Experten
mit alarmierendem Ergebnis:


Iran könnte schon in diesem Jahr genügend hochangereichertes Uran für eine Atomwaffe besitzen. Damit würden die Mullahs um Jahre früher zur Atommacht aufsteigen, als westliche Geheimdienste bisher geschätzt haben.

Eine iranische Atombombe?

Im vergangenen Dezember schien die Gefahr auf den ersten Blick bereits gebannt, als die US-Geheimdienste erklärten, die Mullahs hätten ihr nukleares Waffenprogramm bereits im Herbst 2003 eingestellt (mehr...). Darüber hinaus sei es "sehr unwahrscheinlich", dass Iran schon 2009 genügend hoch angereichertes Uran für eine Atomwaffe besitzen könnte, hieß es in dem Papier namens "National Intelligence Estimate".

Doch beides könnten gefährliche Irrtümer sein. Dass Teheran wirklich keinen Appetit mehr auf Atombomben hat, haben unabhängige Experten unmittelbar nach Erscheinen des Berichts angezweifelt. Auch bei der Zeitspanne droht neues Ungemach: Neue Computersimulationen von Fachleuten der Europäischen Union sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Iran früher als bisher angenommen genügend hoch angereichertes Uran für eine Atomwaffe herstellen könnte.

Im Rahmen seiner Arbeit zur Verbesserung der Nuklearmaterialkontrolle hat das gemeinsame Forschungszentrum der EU-Kommission im italienischen Ispra (JRC) eine detaillierte Computersimulation der Zentrifugen erstellt, die in der iranischen Atomanlage von Natans zur Anreicherung von Uran benutzt werden (siehe Infokasten).

Die Ergebnisse weichen zum Teil deutlich von den Schätzungen der US-Geheimdienste ab. In einem Szenario haben die JRC-Experten eine 100-prozentige Effizienz der Gaszentrifugen in Natans angenommen. In diesem Fall, so das Ergebnis, könnte Iran schon bis Ende dieses Jahres die für einen nuklearen Sprengkörper erforderlichen 25 Kilogramm an hoch angereichertem Uran hergestellt haben. Selbst wenn die Zentrifugen nur 25 Prozent ihrer maximalen Kapazität erreichen, so ein weiteres vom JRC berechnetes Szenario, könnte Iran Ende 2010 das Material für eine Atomwaffe beisammen haben.

Rechnen mit Unbekannten

Das JRC hat die Gaszentrifugen einzeln modelliert und anschließend virtuell zu einer Kaskade hintereinandergeschaltet. Dabei mussten die EU-Experten mit mehreren Unbekannten jonglieren. So gilt es als äußerst unwahrscheinlich, dass die Zentrifugen in Natans auch nur annähernd eine 100-prozentige Effizienz erreichen. Sicher ist nur, dass die Iraner tatsächlich über 18 Kaskaden à 164 Zentrifugen verfügen. Als Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad im April 2007 von 3000 Zentrifugen sprach, hielten westliche Experten das zunächst für blanke Propaganda. Doch die Internationale Atomenergiebehörde bestätigte die Angaben im November.

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HINTERGRUND:
URAN
UND ATOMWAFFEN


Uran eignet sich sowohl für die Energiegewinnung als auch für den Einsatz in Atomwaffen. Entscheidend ist der Grad der Anreicherung. Der Ausgangsstoff Uranerz besteht zu rund 99,7 Prozent aus Uran-238; das spaltbare Uran-235 macht nur etwa 0,7 Prozent aus. Für die Nutzung in Kernreaktoren muss der Anteil von Uran-235 auf drei bis fünf Prozent gesteigert werden, für eine Atombombe ist ein Anreicherungsgrad von mindestens 90 Prozent notwendig.

Das JRC ist bei seinen Simulationen von 2952 Zentrifugen des alten Typs P-1 ausgegangen, wobei das P für das Herkunftsland Pakistan steht. Iran soll auch über neuere Zentrifugen des Typs IR-2 (IR für Iran) verfügen, die statt aus Aluminium aus Kohlefasern bestehen. Diese Zentrifugen sollen unterschiedlichen Schätzungen zufolge zweieinhalbmal so leistungsstark sein wie das Modell P-1.

Offen ist aber, ob die leichten Kohlefaserzentrifugen ebenso eingesetzt werden können wie ihre Gegenstücke aus Aluminium. Unabhängige Experten bezweifeln, dass Iran die Bauteile und Materialien sogar für die Aluminiumzentrifugen alten Typs auf eigene Faust herstellen kann. Vielmehr sei wahrscheinlich, dass das Land angesichts der straffen internationalen Handelsbeschränkungen noch heute von Pakistans früheren Lieferungen zehrt. Pakistans Regierung hatte im März 2005 zugegeben, dass ihr damaliger oberster Atomwissenschaftler Abdul Qadir Khan illegal Zentrifugen an Iran geliefert hat.


Theoretische Berechnungen

Trotz der Unsicherheiten über die technischen Details der Nuklearanlage in Natans sind sich die Experten in Ispra sicher, dass die Ergebnisse ihrer Simulationen realistisch sind. Allerdings handele es sich um theoretische Berechnungen, betont das JRC. Sie sagen aus, was geschehen könnte - nicht, ob die iranische Regierung wirklich auf dem Weg zur Atombombe ist.

Warum die Ergebnisse der Simulationen so deutlich von den Schätzungen der US-Geheimdienste abweichen, sei "eine gute Frage", sagte ein JRC-Experte im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Die amerikanische Regierung habe im Dezember 2007 nicht offengelegt, auf welchen technischen Details ihre Daten beruhten.
Zudem kann von einer Entwarnung auch nach dem US-Geheimdienstbericht nicht die Rede sein. Denn der bezog sich lediglich auf die geheime Urananreicherung oder den Bau einer Atombombe - nicht aber auf das angeblich zivile Nuklearprogramm Teherans. Und wie schnell die Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzung überschritten ist, haben gleich mehrere Staaten vorgemacht: Die Atombomben Israels, Südafrikas, Indiens, Pakistans und Chinas sind allesamt aus zivilen Atomprogrammen hervorgegangen.


Hinweise auf geheimes Waffenprogramm

Eine ganze Reihe von Indizien lässt befürchten, dass Iran nicht nur Gutes im Schilde führt. Erst gestern haben iranische Exiloppositionelle mehrere Satellitenbilder veröffentlicht, die eine iranische Atombombenfabrik zeigen sollen (mehr...). Im Januar hat der Physiker und US-Regierungsberater Richard Garwin ausgerechnet, dass die Anlage in Natans selbst bei ihrer geplanten Maximalkapazität von 54.000 Zentrifugen nicht genügend niedrig angereichertes Uran für ein Atomkraftwerk herstellen könnte. Die 3000 derzeit installierten Zentrifugen reichten aber sehr wohl aus, um genügend hoch angereichertes Uran für Atombomben zu produzieren.

Auch dass Iran vor zwei Wochen den erfolgreichen Start einer Weltraumrakete gemeldet hat (mehr...), trägt wenig dazu bei, die Sorgen zu zerstreuen. Denn eine Rakete, die einen Satelliten ins All befördern kann, könnte eines Tages auch mit einem Atomsprengkopf bestückt werden.

Roland Schenkel, Generaldirektor der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission, fordert deshalb jetzt ein politisches Umdenken. Die Atommächte etwa sollten Sicherheitskontrollen ihrer Nuklearanlagen zulassen und echte Schritte zur atomaren Abrüstung unternehmen, anstatt ihre Arsenale zu modernisieren, sagte Schenkel am Wochenende beim Jahrestreffen des US-Wissenschaftsverbands AAAS in Boston. Die USA und Großbritannien hatten zuletzt große Summen in die Erneuerung ihrer Nuklearstreitkräfte investiert.

Für die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) wünscht sich Schenkel mehr Kompetenzen. "Die IAEA braucht ein echtes Waffenprogramm", sagte Schenkel zu SPIEGEL ONLINE. Um geheime Nuklearaktivitäten aufzuspüren, solle die IAEA etwa größere Gebiete kontrollieren, Proben aus der Umwelt entnehmen und die Satellitenüberwachung einsetzen dürfen. Bisher beschränke sich das Mandat auf das Kernmaterial und die Nuklearanlagen. Hinzukommen müssten aber auch die restlichen Aspekte von Atomwaffen, von Zündern bis hin zu Raketen. "Das Ziel sollte eine echte Nichtverbreitungskontrolle sein", meint Schenkel. "Die Überwachung muss mehr Biss bekommen."

Dass eine stärkere Kontrolle auch Irans dringend notwendig ist, glauben zahlreiche Experten. Daran hat der US-Geheimdienstbericht vom Dezember nur wenig geändert. "Mit großer Gewissheit urteilen wir, dass Teheran im Herbst 2003 sein Programm zur Produktion von Nuklearwaffen gestoppt hat", hieß es in dem Papier. Doch es war nicht dieser erste Satz, der entscheidende Bedeutung hatte - sondern der letzte: "Wir urteilen mit großer Gewissheit, dass Iran die wissenschaftlichen, technischen und industriellen Möglichkeiten zur Herstellung von Atomwaffen hat, wenn es sich dazu entschließt."