Dienstag, Mai 13, 2008

Joschka Fischer: Irans Griff nach der Vorherrschaft

Irans Griff nach der Vorherrschaft


Im Libanon kippen die Machtverhältnisse zugunsten der Hisbollah - und damit auch ihrer Verbündeten in Damaskus und Teheran. Das regionale Gleichgewicht ist gefährdet

Von Joschka Fischer
ZEIT online 12.5.2008 -

Die Bilder der vergangenen Tage aus Beirut erinnern an den libanesischen Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990. Bewaffnete Kämpfer der schiitischen „Partei Gottes“ - Hisbollah - besetzten im Handstreich die sunnitischen Viertel Beiruts und machten die Regierung von Ministerpräsident Siniora de facto zu ihrer Gefangenen.
Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hisbollah, hatte damit innerhalb weniger Stunden klar gestellt, wer tatsächlich die Macht und das Sagen im Libanon hat: nicht die Regierung, nicht das Parlament, nicht die Armee, auch nicht die Arabische Liga und schon gar nicht die UN, sondern allein die Hisbollah - und damit Syrien und der Iran.
Anlass für die blutige Konfrontation war der Versuch der libanesischen Regierung gewesen, das Kommunikationsnetz der Hisbollah unter ihre Kontrolle zu bringen. Dieser Beschluss ist wohl absichtlich und wissend um die möglichen Konsequenzen getroffen worden. Nasrallah sah darin den Versuch, die Hisbollah militärisch entscheidend zu schwächen und reagierte entsprechend.
Der vom Chef der Armee nunmehr ausgehandelte „Kompromiss“ ist nur scheinbar eine Rückkehr zum Status Quo ante, denn die Hisbollah hat die militärische Machtprobe mit der Regierung und der sunnitisch-drusischen Parlamentsmehrheit klar gewonnen. Der Kompromiss hat vielleicht nur für eine kurze Zeit die Regierung Siniora gerettet und das offene Ausbrechen eines erneuten Bürgerkriegs verhindert, aber der Preis dafür ist eine weitere Verschiebung der de facto Macht im Libanon in Richtung Hisbollah.
Nasrallah und seine Verbündeten in Damaskus und Teheran müssen im Libanon niemand mehr fürchten. Die Armee ist nach innen handlungsunfähig, weil sie im Falle eines Bürgerkriegs sofort zu zerbrechen droht. Regierung und Parlament sind nahezu machtlos und eigentlich nur noch von Nasrallah geduldet.
Und auch die UN, die in der Resolution 1559 des Sicherheitsrates die Entwaffnung aller libanesischen Milizen völkerrechtlich verbindlich beschlossen hatte und mit größeren Kontingenten von Blauhelmsoldaten im Süden des Landes präsent ist, hat im Libanon nichts mehr zu sagen. Die jüngsten Ereignisse sind zudem eine schwere Niederlage für die beiden westlichen Mächte, die sich massiv für diese Resolution engagiert hatten, nämlich die USA und Frankreich. Und man übertreibt gewiss nicht, wenn man in dem Ergebnis der Krise im Libanon einen weiteren schweren Rückschlag für die Politik des Westens in der Region sieht.
Damaskus und Teheran hingegen, vor allem Teheran, werden sich dadurch erheblich gestärkt fühlen. Im Nahen und Mittleren Osten geht kaum mehr etwas ohne und gegen den Iran: nicht im Irak, nicht in Afghanistan, nicht im Libanon, nicht in Palästina und immer weniger am Persischen Golf. Iran greift nach der Vorherrschaft in der Region. Und dies ist keine gute Nachricht, denn die Entwicklung treibt dadurch mehr und mehr auf eine große Konfrontation zu.
Über die Gefährlichkeit der Lage sollte man sich keine Illusionen machen. Die Gefahr eines Krieges wird immer konkreter - beginnend als Stellvertreterkriege, wie jetzt im Libanon oder im Irak. Denn die regionale Vorherrschaft des Iran bedroht nicht nur das Gleichgewicht im Nahen Osten, sondern angesichts der geo- und energiepolitischen Bedeutung dieser Region auch das globale.
Über kurz oder lang werden diese Stellvertreterkriege aber, da sie keine wirkliche Entscheidung bringen werden, in die direkte Konfrontation zwischen dem Iran und Syrien mit den prowestlichen arabischen Staaten, mit Israel und vor allem mit den USA führen, wenn es nicht gelingt, die aufeinander zurasenden Züge diplomatisch anzuhalten. Die Folgen einer solch großen Konfrontation wären durch niemand mehr beherrschbar und regional kaum eingrenzbar.
Es zeichnete sich schon länger ab, dass der Libanon zum Auslöser einer großen regionalen Krise werden könnte, weil dort, seit dem erzwungenen Rückzug Syriens und dem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah - de facto der erste iranisch-israelische Stellvertreterkrieg, der zweite findet inzwischen mit der Hamas in Gaza statt-, die Lage äußerst fragil ist. Wenn im Libanon die Machtverhältnisse nach einer Seite kippen, dann wird dadurch das regionale Gleichgewicht gefährdet - und dieser Fall ist jetzt eingetreten.
Eine wirksame Krisendiplomatie und der Versuch, einen regionalen Interessenausgleich herbeizuführen, wäre angesichts der sich verschärfenden Lage das dringendste Gebot der Stunde. Aber die Bedingungen dafür sind schlecht. Die Diplomatie ist blockiert, denn nichts geht im Nahen und Mittleren Osten ohne die USA. Aber umgekehrt gilt leider eben auch, dass es mit der gegenwärtigen US-Regierung zu keiner vernünftigen Initiative kommen wird.
Faktisch steht damit der Nahe Osten noch bis einige Monate nach dem Einzug des nächsten Präsidenten ins Weiße Haus vor einem diplomatischen Vakuum . Dieser diplomatische Ausfall der Führungsmacht USA verschärft aber noch das Risiko einer bewaffneten Konfrontation in dieser Übergangszeit.
Und Europa? Jetzt ist der Moment da, wo Europa strategisch im Nahen Osten als Akteur präsent sein müsste, denn dort geht es massiv um seine Sicherheit. Europa könnte, wenn es sich denn dazu entschlösse, mit seinen gegenwärtigen Möglichkeiten das diplomatische Vakuum zumindest teilweise ausfüllen und so zu einer Entschleunigung der laufenden Konfrontation im Nahen Osten beitragen.
Ach, Europa! Hätte, könnte, würde – machtpolitisch ist Europa leider meist noch im Konjunktiv zu Hause, während sich die Politik tagtäglich im Indikativ ereignet.
Aber vielleicht besteht ja Hoffnung. Frankreich wird ab dem 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, und in Deutschland diskutiert man voller theoretischer Ambitionen über einen Nationalen Sicherheitsrat und eine nationale Sicherheitsratsstrategie. Es bietet sich daher ganz praktisch eine gemeinsame Initiative im Rahmen der EU an, um das Risiko einer Konfrontation im Nahen Osten zu reduzieren und auf die nächste amerikanische Regierung positiv Einfluss zu nehmen.